Interview SmartSuisse 2023

„Wir alle müssen handeln“

Betrand Piccard suchte nach Lösungen, um den Klimawandel zu bremsen – und fand mehr als erwartet. Im Interview spricht er auch darüber, warum diese Lösungen so schleppend genutzt werden und warum die Städte von morgen smart sein müssen.

Bertrand Piccard, unter anderem bekannt durch seine Weltrumrundung mit dem rein photovoltaisch gespeisten Flugzeug Solar Impulse, wird am 28. März die Sustainability Days bereichern.

Wir haben den Botschafter des Guten Willens der Vereinten Nationen für die Umwelt und Sonderberater der Europäischen Kommission getroffen.

 

Herr Piccard, Ihre Stiftung sucht nach Lösungen, die sich gleich nutzen lassen, um den Klimawandel zu bremsen. 1.000 Lösungen sollten es werden – wie weit sind Sie?

Bis heute haben wir fast 1.500 Lösungen gefunden! Und wir haben bewiesen, dass diese Innovationen nicht nur die Umwelt in den Bereichen Wasser, Energie, Bau, Mobilität, Landwirtschaft und Industrie schützen, sondern auch wirtschaftlich rentabel sind. Am Anfang sagten alle, dies sei unmöglich, so wie damals, als ich in einem Ballon fliegen und dann mit einem Solarflugzeug die Welt umrunden wollte. Aber wir waren bei der Suche nicht allein, die Stiftung Solar Impulse erhielt breite institutionelle Unterstützung, insbesondere von der UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change), der Europäischen Kommission, der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) und der Internationalen Energieagentur (IEA). Die Botschaft ist stark: Es gibt Lösungen, die die grösste Marktchance unseres Jahrhunderts darstellen. Diese Chance darf man nicht verpassen.

 

Die Technologien sind also vorhanden, aber warum dauert es so lange, bis sie wirksam werden?

Immer wenn ich mit Staatsoberhäuptern oder Regierungsvertretern über Umweltschutz spreche, sagen sie mir, das sei zu teuer. Aber ich zeige ihnen, dass es sich tatsächlich um eine wirtschaftliche Jahrhundertchance handelt und dabei Arbeitsplätze entstehen.

Andererseits verhindern viele Regularien, dass neue Lösungen auf den Markt kommen, weil die gesetzlichen Vorschriften Gesetz deren Existenz nicht vorsehen. Ein Beispiel: Wenn Sie ein Elektroauto haben, dessen Batterie nachts fast voll ist, könnten Sie diese in Zeiten hoher Nachfrage für die Versorgung Ihres Haushaltes nutzen – wenn alle den Fernseher, die Heizung, das Licht, den Herd einschalten. Das jedoch ist in den meisten Ländern nicht erlaubt.

 

Wie könnte der Transfer aus der Wissenschaft in die Anwendung beschleunigt werden?

Es gibt eine grosse Kluft zwischen Wissenschaft und Politik, die ich gerne überwinden möchte. Die Wissenschaftler sagen, dass man sich ändern soll, aber man hat Angst davor, sich zu ändern. Mit der Stiftung Solar Impulse versuchen wir zu zeigen, dass die Bekämpfung des Klimawandels einen wirtschaftlichen Vorteil und kein Hemmnis darstellt. Bei all meinen Reden und politischen Treffen geht es um Lösungen, die bereits erfolgreich umgesetzt werden und globalisierbar sind.

 

Immer mehr Kommunen fokussieren sich auf das Ziel, in wenigen Jahren klimaneutral zu sein. Was sind die wichtigsten und effektivsten Strategien dorthin?

Wir müssen aufhören, immer nur die Probleme zu betonen. Denn das erzeugt Widerstand bei all jenen, die glauben, ökologische Vorgaben würden ihre wirtschaftliche Entwicklung behindern. Ich plädiere dafür, alle Lösungen auf den Tisch zu legen und je nach politischem, wirtschaftlichem und ökologischem Kontext festzulegen, welche für wen am besten geeignet sind. Da diese Lösungen rentabel sind und Arbeitsplätze schaffen, werden sie zu einem Konsens führen und Investitionen anziehen. Dies wird dazu beitragen, Infrastrukturen moderner und effizienter zu machen.

 

Ist das Konzept der Smart City ein möglicher Ansatz?

Intelligente Städte sollten die Norm sein, im Gegensatz zu den ‚dummen‘ Städten von heute, die verschmutzen, verschwenden und eine miserable Lebensqualität bieten. Die Städte sollten digitale Innovationen und Technologien nutzen, um städtische Strukturen sowie Prozesse zu verändern und besser zu verwalten. Die von uns identifizierten Lösungen steigern Funktionalität und Effizienz. Sie ermöglichen neue Erfahrungen für Gemeinschaften, für Besucher, Unternehmen und auch städtische Dienstleistungen, die die Lebensqualität verbessern, einfacher und gesünder sind. Damit intelligente Städte die Norm und nicht die Ausnahme werden, müssen diese Innovationen für alle zugänglich sein und niemanden zurücklassen. Inklusion ist der Schlüssel.

 

Reichen technologische Lösungen aus, um dem Klimawandel wirksam zu begegnen? Oder welche urbanen Verhaltensweisen sollten wir unbedingt hinterfragen?

Nicht die Technologien allein werden die Welt retten, sondern das, was wir mit ihnen tun. Sie sind also nur ein Teil des Puzzles. Auch der Diskurs muss sich ändern. Wir müssen das Narrativ einer teuren, bedrohlichen und abschreckenden Ökologie durch eine aufregende, Arbeitsplätze schaffende und wirtschaftlich rentable Vision ersetzen. Anstatt sich auf die Probleme zu konzentrieren, die jeder unter den Teppich zu kehren versucht, ist es dringend notwendig, sich auf die vorhandenen Lösungen zu konzentrieren und zu verstehen, wie sie das Spiel verändern. Tausende von Systemen, Produkten, Materialien, Geräten und Energiequellen wurden in den letzten Jahren entwickelt, um unsere Infrastruktur zu modernisieren. Indem sie die Effizienz unserer Abläufe steigern, ermöglichen sie es, mit weniger Ressourcen ein höheres Ziel zu erreichen, die Verschwendung zu verringern und die Rentabilität der Unternehmen sowie die Kaufkraft der Bürger zu steigern. Ganz zu schweigen von den zahllosen industriellen Optionen, die der Umweltschutz, die Kreislaufwirtschaft, die Abfallbehandlung und die erneuerbaren Energien bieten.

 

Welche Massnahmen müssten Städteplaner jetzt in Angriff nehmen, um künftige Klimaauswirkungen abzumildern?

Es geht darum, die Lösungen schnell und konsequent einzuführen. Auf der COP 27 lancierten wir den City Solutions Guide, der aufzeigt, was Städte tun können, um ihre Dekarbonisierungspläne rascher sowie kosteneffizient umzusetzen. Der Leitfaden basiert auf realen Beispielen, die zeigen, wie saubere Technologien bedeutende Probleme lösen. Er konzentriert sich auf die wichtigsten Herausforderungen, denen Bürgermeister, Regierungen, Privatunternehmen und Bürger gegenüberstehen, wenn sie die Einführung von Klimalösungen in Städten vorantreiben wollen. Er zeigt neben den Potenzialen auch die Hindernisse auf, die der Einführung von Lösungen in grossem Massstab entgegenstehen, und gibt Entscheidungsträgern Anleitungen zu deren Überwindung.

 

Die nächsten Generationen werden die Auswirkungen des Klimawandels voll zu spüren bekommen. Wie sollten die Kinder von heute darauf vorbereitet werden?

Ökologische Ängste lassen sich nur durch Handeln lösen. Wir müssen Kinder und junge Menschen auf vielversprechende und inspirierende Berufe aufzeigen, die sie in die Lage versetzen, etwas bewirken zu können. Das sind Bereiche wie Ökoeffizienz, erneuerbare Energien, dekarbonisiertes Bauen, Informatik zur Entwicklung intelligenter Netze, politisches Engagement oder Medienarbeit.

 

Reicht es, auf Veränderungen in der Politik von oben zu warten, oder müssen Eltern, Schüler*innen, Studierende, Auszubildende und Lehrende selbst aktiv werden?

Wir alle müssen handeln! Aber wenn ich ‚handeln‘ sage, meine ich nicht, dass wir die Welt im Alleingang retten müssen – das würde alles nur hoffnungsloser machen. Wir sollten uns bemühen, das, was wir in unserem eigenen Leben tun können, zu verbessern. Also Lösungen in den sozialen Medien beschreiben, unsere Familie und Freunde ermutigen, sich zu ändern, einen Journalisten, den wir kennen, oder einen lokalen Abgeordneten ansprechen.

 

Zugehörige Themengebiete (1)