Interview SmartSuisse 2023

„Unser nächstes Ziel ist es, im Jahr 2025 klimaneutral zu sein“

Pekka Timonen ist seit 2018 Bürgermeister der finnischen Stadt Lahti. Die wiederum wurde 2021 als Grüne Hauptstadt Europas international bekannt. Tatsächlich ist Lahti ein Muster für die Transformation zu einer nachhaltigen Stadt.

Lahti, rund 100 Kilometer nördlich von Helsinki gelegen, ist mit 120.000 Einwohnern die achtgrößte Stadt Finnlands. Pekka Timonen war Generalsekretär im Büro des Premierministers, Exekutivdirektor der World Design Capital Helsinki 2012 und Kulturdirektor von Helsinki. Hier sprechen wir mit ihm als Bürgermeister, warum Städte der Zukunft nachhaltig sein müssen – und dass die Transformation ohne motivierende Einbeziehung der Bürger*innen nicht gelingt.

 

Lahti trug 2021 den Titel „Europen Green Capital“ – welche Auswirkungen hatte dies auf die Stadt?

Vor allem wurde Lahtis Position als internationale Vorreiterin in Sachen Nachhaltigkeit betont. Das hat sich sehr positiv auf unser Image ausgewirkt – und auch darauf, wie die Menschen Lahti als Stadt zum Leben, Studieren, Reisen und zum Arbeiten sehen. Natürlich werden wir die Effekte erst nach ein paar Jahren wirklich spüren können. Dank des Imagegewinns sind wir aber schon jetzt attraktiver für Neubürger*innen, Studierende und Unternehmensansiedelungen. Und weil sich Unternehmen und Beschäftigte Umweltfragen zu Herzen nehmen, entsteht für uns ein Wettbewerbsvorteil, der künftig neue Forschungs- und Innovationsinitiativen sowie neue Arbeitsplätze schaffen wird.

Ein sehr wichtiger Aspekt ist die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Universitäten, beispielsweise im Bereich Elektromobilität oder beim kohlenstoffneutralen Bauen. Auch diese Kooperationen werden dazu beitragen, in Zukunft mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Unsere verstärkte internationale Medienpräsenz schließlich transportiert, wie Kommunen, Unternehmen und Hochschulen eine Region gemeinsam weiterentwickeln können.

 

Nun werden Städte nicht von heute auf morgen klimaneutral – welche Zeiträume sind realistisch? Und wann hat man in Lahti begonnen, umzudenken?

Lahti ist für seine langfristigen und ehrgeizigen Umweltmaßnahmen bekannt. Unsere Arbeit begann in den 1970er Jahren mit dem stadtnahen, aber damals stark verschmutzen Vesijärvi-See. Das war der Tribut für die rasche Industrialisierung. Gemeinsam mit der Stadt, Unternehmen und Freiwilligen beschlossen wir, den See zu reinigen. Die Menschen vor Ort haben heute also ein sehr greifbares Beispiel dafür, wie Umweltmaßnahmen ihre Stadt besser machen. Unser ehrgeiziges Klimaprogramm mit klaren Emissionszielen wiederum verabschiedeten wir bereits im Jahr 2008. Damit ist die Arbeit aber noch lange nicht zu Ende. Im Jahr 2022 wurden wir eine der 100 EU-Missionsstädte. Unser nächstes Ziel ist es, im Jahr 2025 klimaneutral zu sein.

 

Welche Rolle spielt die Bürgerbeteiligung auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stadt?

Eine nachhaltige Stadt muss eine bessere Stadt sein. Die Einbindung der Einwohner von Lahti ist für den Aufbau der nachhaltigen Stadt von entscheidender Bedeutung. Daher ermöglichen wir es allen, sich an der Umweltarbeit zu beteiligen. Wir haben einzigartige Ansätze entwickelt, um die Bürgerbeteiligung an der Planung und Entwicklung zu steigern.

Der partizipative Ansatz ist das Herzstück der Raum- und Mobilitätsplanung von Lahti. Wir haben dafür den umfassenden Mitgestaltungsprozess ‚Lahti Direction‘ entwickelt. Er umfasst einen räumlichen Masterplan, einen Plan für nachhaltige urbane Mobilität sowie ein Umweltprogramm für Lahti. Der Masterplan wird während jeder Wahlperiode des Stadtrats unter Beteiligung verschiedener Interessengruppen überprüft.

Der Plan für nachhaltige städtische Mobilität besteht aus 13 Maßnahmen zur Verbesserung der Fußgänger- und Fahrrad-Infrastruktur. Das soll die Bürgerinnen und Bürger ermutigen, andere Mobilitätsformen als das eigene Auto zu wählen. Wir nutzen kreative Lösungen, um Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund einzubeziehen und den Dialog zu fördern. So ist hier beispielsweise das weltweit erste kohlenstoffneutrale Profi-Eishockeyteam, die ‚Lahti Pelicans‘, beheimatet und auch das erste kohlenstoffneutrale Sinfonieorchester.

Eine Stadt sollte ihre Einwohner*innen zu einem nachhaltigen Lebensstil ermutigen. Wir bieten Anleitung, Begleitung und Informationen mittels Gamification. Ein neuer Ansatz ist eine mobile App, mit der die Bürger*innen ihren eigenen CO2-Fußabdruck verfolgen und so um im Alltag nachhaltige Entscheidungen treffen können.

 

Sie haben auch ein Konzept namens ‚CitiCAP‘ entwickelt. Um was geht es dabei?

Das Projekt konzentriert sich darauf, die nachhaltige städtische Mobilität in Lahti zu fördern. Dafür entwickelten wir ein Modell für den persönlichen Emissionshandel im Bereich der Mobilität und eine Anwendung, die die Verfolgung und Visualisierung des eigenen Kohlenstoff-Fußabdrucks in Echtzeit ermöglicht. ‚CitiCAP‘ wurde ein von der EU finanziertes Projekt, dessen Pilotphase von 2018 bis 2021 dauerte.

Der Emissionshandel lief über eine mobile Anwendung, die das Verkehrsmittel des Nutzers automatisch identifizierte und die Emissionen visualisierte. Die App berechnete für jeden Nutzer ein persönliches Emissionsbudget auf der Grundlage seiner Lebenssituation. Bei Unterschreitung des Budgets wurden virtuelle Gutschriften angesammelt, die sich gegen Produkte oder Rabatte eintauschen ließen, etwa gegen Eintrittskarten für die örtliche Schwimmhalle. Mehr als jeder dritte Nutzende gab an, dass er seine Mobilitätsemissionen reduziert hat.

 

Klimaschutz wird oft mit Einschränkungen gleichgesetzt – wie lässt dies in positive Visionen umwandeln?

Wir wollen unseren Bürger*innen zeigen, dass ein nachhaltiger Lebensstil nicht zwangsläufig eine geringere Lebensqualität oder gar den Verzicht auf etwas bedeutet. Unsere Klimaarbeit zielt darauf ab, das Leben in der Stadt besser und angenehmer zu machen. Das ist sehr wichtig für die Akzeptanz der Maßnahmen. Die Forschung zeigt, dass nachhaltige Entscheidungen auch für das individuelle Wohlbefinden besser sind. Auf dieser Erkenntnis haben wir im vergangenen Jahr das Pilotprojekt ‚Planetarisches Rezept‘ gestartet. Sogar die renommierte medizinische Fachzeitschrift The Lancet berichtete darüber. Das Experiment wird gelobt, weil es visionär ist und die planetarische Gesundheit auf lokaler Ebene Wirklichkeit werden lässt.

Im Wesentlichen ging es darum, zu untersuchen, wie sich ein umweltfreundlicher Lebensstil auf die Gesundheit auswirkt. Die Verantwortliche des Experiments war die Ärztin Hanna Haveri; sie stellte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern individuelle Rezepte zur Förderung eines umweltfreundlichen Lebensstils aus. Dann wurden sowohl die Veränderungen des CO2-Fußabdruck und die Gesundheit der Teilnehmenden mittels unterschiedlicher Daten gemessen sowie bewertet. Im Durchschnitt verringerte sich der CO2-Fußabdruck um 17 Prozent, das allgemeine Wohlbefinden verbesserte sich um 16 Prozent, die Erschöpfungswerte sanken sogar um 36 Prozent. Obwohl es sich um ein eher kleines Experiment handelte, weisen die Ergebnisse eindeutig auf die gesundheitlichen Vorteile eines umweltfreundlichen Lebensstils hin.

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