Fachwissen SmartSuisse 2023

Die Stadt neu erfinden

Städte wachsen weiter, weltweit, in grosser Geschwindigkeit und trotz Szenarien, die vor einem Kollaps urbaner Strukturen warnen. Klar ist: Es braucht eine andere Städteplanung.

Schon im Jahre 2008, so die UN-Zahlen, lebten weltweit mehr Menschen in städtischen Strukturen als in ländlichen Gebieten. Und 2050 werden wohl zwei Drittel der Menschen in Städten leben – das entspricht 6,3 Milliarden. Und: grosse Städte werden immer grösser. Schon heute finden sich 23 sogenannter Megacities, also Städte mit mehr als 10 Millionen Einwohner*innen. Bis 2025 kommen vermutlich 14 weitere Megacities hinzu, die Mehrheit liegt in Entwicklungs- und Schwellenländern. Parallel dazu entstehen Mega-Regionen durch das Zusammenwachsen von Megacities – ein Beispiel ist die chinesische Region Hongkong-Shenzen-Guangzhou mit ihren über 120 Millionen Menschen.

Doch auch im „globalen Norden“ bleiben die Städte Gravitationszentren: 2013 lebten 73,3 Prozent der Europäer*innen in Städten, 2050 werden es 82,2 Prozent sein.

Nun wachsen die Städte nicht nur aus sich selbst heraus, sondern vor allem durch Zuwanderung von aussen. Der Urbanisierung steht also ein Ausdünnen vieler Regionen gegenüber, die immer unattraktiver werden, deren Infrastrukturen verkümmern, was weitere Abwanderungen zur Folge hat. Die traditionelle Städteplanung steht also vor zwei enormen Herausforderungen: Mehr Menschen hier, weniger da.

Allein schon das Wachsen oder Wuchern der Städte ist in vielfacher Hinsicht problematisch – angefangen vom Flächenverbrauch über Wohnungsnot, Versorgungs- und Entsorgungsengpässen bis hin zum Ressourcenverbrauch und der Resilienz gegenüber externen, klimabedingten Einflüssen. Besonders Megacities in den Schwellenländern sind schon heute von massiven Überschwemmungen bedroht, aber auch New York ist stark gefährdet.

Das bedeutet vor allem eines: Städteplanung muss interdisziplinärer werden und sie muss Bürger, Bewohner, Initiativen früh in Vorhaben einbinden. Besonders in den europäischen Metropolen, Mittel- oder Unterzentren, ja selbst auf dem Dorf, ist Städtebau kein Top-down-Unterfangen mehr, sondern ein demokratischerer, horizontaler Prozess.

Ansätze zu neuen Städteplanungen gibt es viele. Etwa die Idee der 15-Minuten-Stadt, die zwar nicht neu ist, aber lange Zeit verschollen war. Will heissen, die von den Vätern der Klassischen Moderne propagierte Trennung in Wohnen, Arbeiten, Nachversorgung ist obsolet. Vielmehr ist die Stadt der kurzen Wege eine integrative Stadt, die Vielfalt zulässt und fördert. Vielfalt seitens der Bewohner, der Nutzungen und Ideen. Eine lebendige Stadt entsteht nicht am Planertisch, sondern in Diskussionen. Die Smart City hingegen, ein derzeit technokratisch konnotiertes Konstrukt, scheint niemand zu wollen. Selbst euphorisch angekündigte Projekte wie Torontos Quayside, mit dem die Google-Tochter Sidewalklabs zeigen wollte, dass eine volldigitalisierte Smart City die Lösung aller Probleme ist, scheiterte schon im frühen Planungsstadium. Städte sind komplexe Gebilde, das ist Erschwernis und Chance zugleich. Komplexität lässt sich nämlich durchaus reduzieren, in dem man zunächst kleinteiliger denkt. Beispielsweise auf Quartiersebene. Autarke Quartiere, die eigene regenerative Energiequellen nutzen, entlasten die grossen, zentralen Infrastrukturen. Quartiere sorgen für sozialen Zusammenhalt auch in Krisenzeiten, in Quartieren kann Urban Gardening gedeihen, etablieren sich andere Mobilitätsformen und – wenn politisch unterstützt – der Gemeinwohlansatz. Städtebau der Zukunft muss an der Basis ansetzen und die Priorisierung rein renditeorientierter Investoren aufgeben. Genossenschaftliche Projekte stehen dem gegenüber, die von vornherein nachhaltiger denken und agieren, was der Stadt und ihren Bewohnern unbedingt zugutekommt. Heterogenität ist kein Makel, sondern Voraussetzung für eine lebendige und in vielfacher Hinsicht resiliente Stadtgesellschaft.

Stadt ist kompakt, aber nicht überall. Es braucht grüne Freiflächen – als Erholungsorte, aber auch aus Klimagründen zur Abkühlung, zur Luftreinigung. Auch die Umweltgerechtigkeit beschäftigt bereits heute viele Planer und Initiativen, also die Frage, wie denn Umweltbelastungen stadträumlich verteilt sind, wie sich Hot Spots mit extrem negativen Auswirkungen auf die Bewohnenden vermeiden lassen. Das Prinzip des Superblocks kann Wohnquartiere von den grossen Verkehrsströmen entlasten, steht aber unter Umständen der Umweltgerechtigkeit entgegen, weil an anderer Stelle mehr Frequenzen entstehen.

Stadt ist nie gleich, ist individuell, weil historisch gewachsen verlangt Planung immer ein spezifisches Vorgehen. Und genau das macht die intelligente Stadtplanung spannend. Künftig mehr denn je.